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Grundsteinlegung des Forschungsbaus "Forum Wissenschaftsreflexion"

Grundsteinlegung des Forschungsbaus "Forum Wissenschaftsreflexion"

Grundsteinlegung des Forschungsbaus Wissenschaftsreflexion, Einsetzen der Zeitkapsel in den Grundstein Grundsteinlegung des Forschungsbaus Wissenschaftsreflexion, Einsetzen der Zeitkapsel in den Grundstein Grundsteinlegung des Forschungsbaus Wissenschaftsreflexion, Einsetzen der Zeitkapsel in den Grundstein
© Nadja Bieletzki
Von links: Martin Thomann (Polier), Falko Mohrs (Minister für Wissenschaft und Kultur, Land Niedersachsen), Prof. Dr. Volker Epping (Präsident Leibniz Universität Hannover), Prof. Dr. Eva Barlösius (Institut für Soziologie/LCSS, Leibniz Universität Hannover), Gerhard Wolf (Michel und Wolf Architekten, Stuttgart)

Feierliche Grundsteinlegung des Forschungsbaus Forum Wissenschaftsreflexion. Die Rede von Prof. Dr. Eva Barlösius (Institut für Soziologie/LCSS, LUH)

Sehr geehrter Herr Minister Mohrs,

sehr geehrter Herr Präsident, lieber Volker,

sehr geehrter Herr Wolf,

liebe Mitarbeiter:innen unseres Baudezernats,

liebe Kolleginnen und Kollegen der Wissenschaftsreflexion,

liebe Gäste,

einen ganz besonderen Gruß an alle, die tatkräftig am Bau mitwirken!

Heute feiern wir die Grundsteinlegung für das Forum Wissenschaftsreflexion – ein erläuterungsbedürftiger Name. Der erste Teil des Namens versteht sich von selbst. Denken wir doch sogleich ans Forum Romanum, einen für Volksversammlungen reservierten Platz. Mit diesem Namensteil tun wir – die Forschenden – kund, wie wir in dem Gebäude zusammen forschen werden: im regen Austausch, in vertieften Gesprächen miteinander und offen für kontroverse Diskussionen.

Als Forum möchten wir auch mit der Gesellschaft in Austausch kommen, nicht nur dem üblichen Verständnis von Wissenschaftskommunikation gemäß, sondern wesentlich grundsätzlicher. Wir forschen über die gegenwärtigen und zukünftig mutmaßlich noch kontroverser werdenden Debatten über den gesellschaftlichen und politischen Gebrauch von Wissenschaft, über die Geltung von wissenschaftlichem Wissen, den Nutzen und die Gefahren wissenschaftlicher Innovationen sowie ethische und rechtliche Einhegungen von Forschung, aber auch über die im Umfeld von Hochschulen und Forschungseinrichtungen entwickelten Wertorientierungen und praktizierten Normierungen.  

Erst nach und nach verstehen wir, worum es in diesen Auseinandersetzungen überhaupt geht: Sie reichen über die Infragestellung wissenschaftlichen Wissens, über wachsendes Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Expert:innen oder Ablehnung wissenschaftlicher Innovationen hinaus. Sie rütteln an jahrzehntelangen konsensualen Grundfesten unserer Gesellschaften, auch an jenen der Demokratie, wie beispielsweise auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise informierte politische Entscheidungen zu treffen. Diese Grundfesten erweisen sich als verletzlicher und instabiler, als wir uns bis vor wenigen Jahren vorstellen konnten.

Desinformation, Post-Truth, Verschwörungstheorien, Querdenkertum – all diesen Phänomenen ist gemeinsam, dass sie andere Wirklichkeiten als wahr behaupten als die, die Wissenschaften theoriegeleitet, methodisch-systematisch und – hoffentlich – selbstreflexiv, das heißt die begrenzte Geltung wissenschaftlichen Wissens beachtend, als richtig, weil gemäß dem gegenwärtigen Stand des Wissens darstellen. Falls man dafür überhaupt den Begriff der wissenschaftlichen Wahrheit in Anspruch nehmen möchte, dann – so meine ich – „nur“ als „Name für das Faktum“, wie Hans Blumenberg formuliert hat.  

Um zu verstehen, worum es bei diesen Auseinandersetzungen geht, so unsere Überzeugung, genügen Wissenschafts- und Hochschulforschung nicht. Diese sind zwar interdisziplinär aufgestellt, aber letztlich ganz überwiegend auf die Forschung über Wissenschaft und Hochschule beschränkt. Es ist aber notwendig, Theorien und Konzepte sowie empirische Kenntnisse über politische Systeme, über Sozial- und Ungleichheitsstrukturen, über ökonomische Prozesse, über Ethik, Werte und Normen und über vieles mehr einzubeziehen, also interdisziplinär und vor allem gemeinsam mit den Fächern zu forschen, die solches Wissen generieren. Nur so wird es möglich sein, die Gesellschaft in der Wissenschaft und die Wissenschaft in der Gesellschaft zu analysieren. Und damit habe ich Ihnen beispielhaft erläutert, was wir unter Wissenschaftsreflexion verstehen und warum sie so dringend benötigt wird.

Wissenschaftsreflexion will aber nicht nur analytisch forschen, sie sieht sich ebenfalls in der Verantwortung, sich in gesellschaftliche Debatten einzubringen. Nur so kann vermittelt werden, dass Wissenschaftlichkeit die erfolgversprechendste Möglichkeit zu besonnenem und sachverständigen Handeln ist – und dass genau deshalb Wissenschaftlichkeit vor beliebiger Relativierung zu schützen ist. Sie – die Wissenschaftlichkeit – bildet die Grundlage für wissensbasierte Verständigungen darüber, was sein soll. Aber selbstverständlich sieht Wissenschaftsreflexion ihre Aufgabe auch darin, zu untersuchen, wann Misstrauen gegenüber wissenschaftlichen Geltungsansprüchen berechtigt, ja sogar geboten ist, ob Schilderungen als Elite-Projekt angemessen sind, ob behauptete und praktizierte Autorisierungen mit Rückgriff auf wissenschaftliches Wissen gerechtfertigt – ja legitim – sind.

Lassen Sie mich an einem anderen Beispiel erläutern, was Wissenschaftsreflexion meint, einem Beispiel, das besser zu der heutigen Feier passt. Ich kann mich gut daran erinnern, als wir zum ersten Mal zusammensaßen, um nicht mehr rein wissenschaftlich, sondern baulich darüber nachzudenken, was für ein Gebäude wir für die wissenschaftsreflexive Forschung brauchen, welche Funktionen es erfüllen muss, wie es sich nach außen präsentieren soll. Es war leicht, sich darüber zu verständigen, welche Arten von Forschung der Bau fördern soll, obgleich wir aus der Wissenschaftsforschung wissen, dass sich Forschungspraktiken stetig wandeln. Hierfür konnten wir Kenntnisse und gut begründete Vermutungen heranziehen, zum Beispiel, dass Forschung und Infrastrukturen zukünftig viel enger zusammenarbeiten sollten, weshalb wir eine Wissenswerkstatt benötigen, in der alle zusammen forschen, dass interdisziplinäre Forschung vor allem Austauschmöglichkeiten braucht und originelle Forschungsideen oftmals in nicht planvoll hergestellten Situationen entstehen, weshalb wir uns eine Agora wünschten. So weit trug uns unser Forschungswissen und unsere Forschungserfahrungen.

Wie aber ein Forum Wissenschaftsflexion als Gebäude zu gestalten ist, damit es das symbolisiert und fördert, was ich oben mit dem Leitwort Wissenschaft in der Gesellschaft gemeint habe, dazu konnten wir nichts sagen. Herrschaftslos gewordene Schlösser mögen ehrenvolle Räumlichkeiten sein, aufgelassene Klöster und Kirchen weihevolle Orte, aber ob solche Gebäude architektonisch ausdrücken, welche Bedeutung Wissenschaft in der Gegenwart hat und in der Zukunft haben soll – da kommen Zweifel auf. Auch Anleihen bei den universitären Denkfabriken der 1960er und 1970er Jahre als Reminiszenz an die industrielle Produktion überzeugen nicht mehr – auch wenn einige der Anwesenden diese Bauten schätzen.

Herr Wolf – der Architekt des Forums Wissenschaftsreflexion, wird gleich über diesen Aspekt sprechen.

Nun komme ich endlich zum heutigen Anlass: der Grundsteinlegung für das Forum Wissenschaftsreflexion. Ein ungewohnter Anlass für eine Wissenschaftlerin! Was sagt man da, welcher Stil ist angebracht? Ich war und bin noch immer unsicher. Aber als Wissenschaftlerin nähert man sich solchen Fragen lesend, erst mal den Stand der Forschung recherchieren, dann wird es sich schon finden. Aber: Der nationale und internationale Forschungsstand ist spärlich, man findet Redetexte, Ratgeber, wie man die Feier auszurichten hat, kommerzielle Dienste bieten sich an, die Feier zu planen – ähnlich Hochzeitplaner:innen. Insgesamt wenig Nützliches für mein Anliegen.

Ein Sachbuch fand sich: „Die Geschichte der Grundsteinlegung“ von 1904, der Autor Paul Rowald – ein Stadtbauinspektor. Ich lernte, dass wir es mit einer uralten Weihehandlung zu tun haben, die von alters her bis heute auf gebräuchlich feststehende Weise vollzogen wird. Bevorzugt würde sie im Frühling oder Sommer stattfinden – unser Datum passt also. Vor Baubeginn würde der Platz von früheren Spuren gesäubert – passt auch, dachte ich, vor einigen Wochen hatten wir ein Bombenspürfahrzeug auf der Baustelle. Die gebildete Gesellschaft – so Rowald – hätte den in die Grundsteinlegung eingewobenen Aberglauben abgelegt, nun ginge es bei diesen Feiern gesittet und vernunfteifrig zu – das stimmte mich hoffnungsvoll.  

Trotzdem, ich blieb ein wenig beunruhigt, rief Herrn Thierau an, berichtete von meinem angelesenen Wissen und fragte, wie denn unsere Feier ablaufen würde. „Doch, schon so ähnlich!“, war seine Antwort. Nun ja, die Universität orientiert sich seit ihren Anfängen bei der Ausrichtung feierlicher Anlässe an anderen Institutionen, vor allem der Kirche und dem Hof. Warum nicht auch im Fall der Grundsteinlegung, immerhin geht deren Tradition in die Urzeit zurück, worauf die deutsche Nationalbibliothek bei ihrer letzten Grundsteinlegung hinwies.  Aber ein Forschungsbau? Wo Nüchternheit, Skeptizismus, Entzauberung und Rationalität bestimmend sein werden? Ich denke, dass uns ein bisschen außerweltlicher Zauber für einen gelingenden Bauverlauf und für erfolgreiche Forschungserfahrungen im fertigen Bau ganz guttut. Insofern bin ich beglückt, dass wir uns heute in die Tradition dieser Weihehandlung stellen. Herr Thomann – der Polier unserer Baustelle – wird ganz in der Tradition der uralten Weihehandlung drei Mal mit dem Hammer auf den Grundstein schlagen: Das vertreibt ganz gewiss alle bösen Geister.

Ich bin noch nicht ganz am Schluss. Vor allem möchte ich heute – im Namen der zukünftigen Nutzer:innen des Forums Wissenschaftsreflexion – Danke sagen.
Dem ehemalige Baudezernent Herrn Bauer, ohne sein Briefing, wäre diese Idee nie gewachsen.

Unserem Universitätspräsidenten Volker Epping, der den Mut hatte, einen Bau für die Geistes- und Sozialwissenschaften zu fördern.

Dem niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur, das höchst professionell Forschungsbauten betreut und sehr erfolgreich einwirbt, und aus diesem Hause vor allem Herrn Beiner, der den Antrag gelesen und mich insbesondere auf den Begutachtungsprozess vorbereitet hat.

Und großer Dank geht auch an meine Kolleginnen und Kollegen an der LUH, ohne die überhaupt kein Antrag hätte entstehen können. Uns hat das gemeinsame Schreiben am Antrag noch weiter zusammengeführt, das war eine sehr gute Grundsteinlegung für unsere weitere gemeinsame Forschung.